Mythenbildung


Daemon (griech. Daimon - Gottheit)

Das Wort Daimon bezeichnete bei den Griechen vermutlich die Schicksal zuteilende Funktion einer Unbestimmten Gottheit, später diese selbst. Dieses Wesen konnte im Guten wie im Bösen wirken. Später bildeten die Dämonen eine Stufe zwischen Göttern und Menschen oder wurden als Verstorbene angesehen, deren Einfluß auf die Lebenden aus den Gräbern heraus erfolgte.

Jede Kultur erschuf sich Ihre eigene Mythen- und Sagenwelt. Die Ursprünge dieser Welten sind auf eine Vielzahl von Ängsten der Menschen vor unerklärlichen Geschehnissen zurueckzuführen. Dazu gehören Naturerscheinungen wie Blitz, Donner, Regen, Sonne und Sturm. Hier wurden durch die Personifizierung dieser Ereignisse schon in der menschlichen Urgeschichte Götter und Dämonen geschaffen, deren 'Zorn oder guten Willen' man hilflos ausgeliefert war.
Auch die Dunkelheit spielte sicher eine entscheidente Rolle bei der Schaffung von Mythen. Die Nacht war die Zeit der Raubtiere, denen man mit eingeschränkten Sinnen nur wenig entgegenzusetzen hatte.
So lässt sich bei vielen Naturvölkern ein Dämonenglaube nachweisen.


Hinzu kam die Gefahr durch Krankheiten (eine Vielzahl von Dämonen aller Mythologien sind personifizierte Krankheiten), vor allem Epilepsie und Geisteskrankheiten und last but not least die tiefste aller Ängste, die Furcht vor dem Tode.
Nichts hat Religionen und Mythologien mehr beeinflußt als der Tod und die Frage 'was geschieht danach mit uns?'

Definition des Dämon im Zusammenhang mit dem Forschungssymposium der Universität Tübingen:

Was ist ein Dämon?

Ist es die warnende Stimme, die Sokrates davor
bewahrt, Unrechtes und Unehrenhaftes zu tun (Platon, Apologie 24b)? Ist
es ein Wesen, das die sieben Ehemänner von Sara, der Tochter Raguels,
tötet, bevor sie die Hochzeitsnacht zusammen verbringen können (Tob.
3,7)?[1] Beide Wesen werden mit dem griechischen Terminus
"daimon/daimonion" bezeichnet, weisen aber doch ganz verschiedene
Seinsweisen auf. Es fällt demzufolge schwer zu definieren, was gemeint
sein soll, wenn von "Dämon" die Rede ist. In der Entwicklung des
Begriffs ist zu erkennen, dass spätestens seit Xenophon die positive
Konnotation des Terminus verloren geht und der Dämon zunehmend negativ
gesehen wird. "Daher bezeichnet die religionswissenschaftliche Forschung
als Dämonen alle übermenschlichen, aber untergöttlichen Mächte, die den
Menschen schädigen oder zumindest bedrohen und deren sich der Mensch
durch bestimmte Riten und Enthaltungen erwehrt."[2]

Wie schwierig aber die konkrete Klassifizierung des einzelnen Wesen ist,
zeigt schon ein Blick ins Register des von A. Lange (Associate Professor
for Hebrew Bible and Dead Sea Scrolls an der University of North
Carolina at Chapel Hill), H. Lichtenberger (Professor für Neues
Testament und antikes Judentum an der Universität Tübingen) und K. F. D.
Römheld (Pfarrer bei Bonn) herausgegeben Bandes "Die Dämonen - Demons".
Er dokumentiert 34, teils in deutscher, teils in englischer Sprache
abgefaßte "Beiträge eines internationalen Forschungssymposiums zum Thema
'Die Dämonen - Die Dämonologie der alttestamentlich-jüdischen und
frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt', das vom 23. bis 27.
Mai 2001" (S. V) in Tübingen stattfand. Dem Titel des Symposions gemäß
gliedert sich der Band nach zwei einleitenden Beiträgen in Aufsätze zum
Thema "Dämonen im Alten Ägypten und im Alten Orient", "Dämonen im Alten
Israel und in der vorexilischen und exilischen Zeit", "Dämonen in Juda
und Israel in der persischen Zeit", "Dämonen in Juda und Israel in der
hellenistischen Zeit", "Dämonen in der griechisch-römischen Welt",
"Dämonen im Neuen Testament und in der Gnosis" und "Dämonen nach der
Zerstörung des Zweiten Tempels".

Zwischen Menschen, Dämonen und Gottheiten zu unterscheiden, ist nicht so
einfach, wie die oben zitierte Bestimmung eines Dämons von O. Böcher
glauben lässt. Wann ist ein Wesen göttlich, wann ist es schädigend?[3]
Diese ungemein perspektivgebundenen Fragen lassen sofort die
Notwendigkeit der ersten beiden einleitenden Vorträge vor Augen treten.
B. Gladigow ("Plentiduo deorum. Fülle der Götter und Ordnung der Welt")
und A. Klostergaard Petersen ("The Notion of Demon. Open Questions to a
Diffuse Concept") geht es in ihren Beiträgen grundsätzlich um die Frage,
wie ein aufgeklärt-postmodernes Denken angemessen die religiöse Welt des
antiken Menschen beschreiben kann. Aus religionswissenschaftlicher Sicht
wird versucht zu erklären, warum etwa der Monotheismus
Vermittlungsinstanzen braucht, die entweder dämonischen Wesen überlassen
oder menschlich besetzt (Priester u.ä.) werden. Der Vorschlag, "Dämon"
in dieser Funktion ernst zu nehmen und den Begriff über diese zu
bestimmen, also als "Brückeninstanz" zwischen getrennten Sphären (Mensch
- Gott) zu verstehen, verdient Beachtung. Dies ist dann besonders
hilfreich, wenn wie im ersten Abschnitt des Buches zum Alten Orient
herausgestellt wird, dass lediglich der Zoroastrismus eine klar
dualistische Dämonologie ausbildet,[4] während andere ägyptische oder
altorientalische Kulturen eher einen fließenden Übergang von Gott zu
Dämon und von Dämon zu Mensch kennen; untersucht werden dabei das alte
Ägypten von D. Kruth ("Suum cuique. Zum Verhältnis von Dämonen und
Göttern im alten Ägypten"), Babylon und Assyrien von K. van der Toorn
("The Theology of Demons in Mesopotamia and Israel. Popular Belief and
Scholarly Speculation"), die nordwestsemitische Religion von H. Niehr
("Zur Entstehung von Dämonen in der Religionsgeschichte Israels.
Überlegungen zum Weg des Resep durch die nordwestsemitische
Religionsgeschichte") sowie die phönizisch-punische von H.-P. Müller
("Der Umgang mit dem Negativwertig-Numinosen in der phönizisch-punischen
Religion").

Dass dämonische Aspekte zuweilen sogar in den Menschen versetzt werden,
zeigt M. Bauks in ihrer Betrachtung von Ex 7-14 ("Das Dämonische im
Menschen. Einige Anmerkungen zur priesterschriftlichen Theologie, Ex
7-14"). Überhaupt erweist sich die israelitische Religion als spröde
gegenüber der Aufnahme dämonischer Vorstellungen, wie beispielsweise B.
Janowski ("Jenseits von Eden. Gen 4,1-16 und die nichtpriesterliche
Urgeschichte") und M. Köckert ("War Jakobs Gegner in Gen 32,23-33 ein
Dämon?") in ihren Beiträgen demonstrieren, die weder in Gen 4,7 noch in
Gen 32,23-33 Dämonen erkennen. Falls Sach 13,2 einen Dämon kennt, so A.
Lange ("Considerations Concerning the 'Spirit of Impurity' in Zech
13:2"), ist hier eine Entwicklung zu beobachten, die zu späteren
dualistischen Denkmodellen führt. H.-J. Fabry ("'Satan' - Begriff und
Wirklichkeit. Untersuchungen zur Dämonologie der alttestamentlichen
Weisheitsliteratur") zeigt die Alternative solcher Dualismen im Weltbild
auf, wenn er vorführt, dass es in monotheistischen Religionen
zwangsläufig zur Annahme eines Kampfes zwischen guten und bösen Mächten
kommt, so Gott selbst nicht als verantwortlich für das Böse gelten
soll.

In hellenistischer Zeit wird Gen 6,1-4 als Ätiologie von Dämonen
herangezogen, wie L. Stuckenbruck ("Giant Mythology and Demonolgy: From
the Ancient Near East to the Dead Sea Scrolls") erweist. Mit der
Dämonologie des Jubiläenbuches befasst sich J.C. VanderKam ("The Demons
in the Book of Jubilees"), mit der des Josephus R. Deines ("Josephus,
Salomo und die Gott verliehene techne gegen die Dämonen"), mit der
Qumrans schließlich E. Eshel ("Genres of Magical Texts in the Dead Sea
Scrolls") und H. Lichtenberger ("Ps 91 und die Exorzismen in 11QPsApa").
Der griechisch-römischen Sicht auf die Dämonen wenden sich L. Albinus
("The Greek daimon between Mythos and Logos") und H. Cancik ("Römische
Dämonologie. Varro, Apuleius, Tertullian") zu.

Der neutestamentliche Abschnitt des Buches bringt vor allem Einsichten
zu einzelnen Autoren wie Matthäus und Paulus. M. Rese ("Jesus und die
Dämonen im Matthäusevangelium") will beispielsweise zeigen, dass im
Matthäusevangelium die Welt nicht entdämonisiert wird. Dies wird
vielmehr erst für die Parusie erwartet. U. Mittmann-Richert ("Die
Dämonen und der Tod des Gottessohnes im Markusevangelium") beschäftigt
sich dagegen mit den Dämonen im Markusevangelium, die entgegen den
Jüngern in der markinischen Darstellung um die Identität Jesu wissen. G.
S. Oegema ("Jesus' Casting out of Demons in the Gospel of Mark against
Its Greco-Roman Background") betrachtet die markinische Auffassung von
Dämonen vor ihrem griechisch-römischen Hintergrund und kommt zu dem
Ergebnis, dass damit eine eigenständige christliche Sicht begründet
wird. T. Söding ("'Wenn ich mit dem Finger Gottes Dämonen austreibe …'
(Lk 11,20). Die Exorzismen im Rahmen der Basileia-Verkündigung Jesu"),
F. Avemarie ("Warum treibt Paulus einen Dämonen aus, der die Wahrheit
sagt? Geschichte und Bedeutung des Exorzismus zu Philippi, Act
16,16-18") und T. Knöppler ("Paulus als Verkündiger fremder daimonia.
Religionsgeschichtlicher Hintergrund und theologische Aussage von Act
17,18") wenden sich dem lukanischen Doppelwerk zu, während P. Lampe
("Die dämonologischen Implikationen von I Korinther 8 und 10 vor dem
Hintergrund paganer Zeugnisse") die Haltung des Paulus zum
Götzenopferfleisch im ersten Korintherbrief untersucht. E. Grypeou ("Die
Dämonologie der koptisch-gnostischen Literatur im Kontext jüdischer
Apokalyptik") zeigt, dass die Wurzeln einer Dämonologie der Gnosis in
der jüdischen Apokalyptik liegen. Abschließend beschäftigen sich P. S.
Alexander ("Contextualizing the Demonology of the Testament of Solomon")
und G. Stemberger ("Zur Rolle der Dämonen im späten Midrasch") mit den
Fortwirkungen magisch-dämonischer Traditionen beim Entstehen neuer
Dämonologien.

Der mit einem hilfreichen Register versehene, über 650 Seiten starke
Band kann wegen seiner Anlage zwar nicht den Charakter einer Monographie
erreichen, die das Thema "Dämon" von seinen Anfängen bis zur
neutestamentlichen Zeit umfasst, bietet aber durchaus einen guten
Überblick über das Spektrum der modernen Forschung zur Dämonologie und
wartet mit einer Fülle von Einzelaspekten zu diesem Thema auf. Dass die
einzelnen Themenbereiche nicht gleichgewichtig behandelt werden,[5] ist
sicher dem Charakter des Symposions und den Teilnehmern geschuldet.
Versehen, wie das doppelte "der" in der Überschrift des Abschnittes
"Dämonen in Juda und Israel in der persischen Zeit" (S. XVI), sind
leicht zu verschmerzen.


Anmerkungen:
[1] Vgl. den Beitrag "'Denn er liebt sie'. (Tob 6,15 Ms. 319). Zur Rolle
des Dämons Asmodäus in der Tobit-Erzählung" von B. Ego.
[2] Vgl. O. Böcher, Art. "Dämonen I. Religionsgeschichtlich", in: TRE 8,
Berlin-New York 1981, 270.
[3] Vgl. den Beitrag von W. Hüllstrung "Wer versuchte wen zu töten? Ein
Beitrag zum Verständnis von Ex 4,24-26", der in Ex 4,24-26 entweder Gott
selbst oder einen Dämon am Werk sieht.
[4] Vgl. den Beitrag "Dualismen im Kontext der Gegenweltvorstellungen.
Die rituelle Abwehr der Dämonen im altiranischen Zoroastrismus" von G.
Ahn.
[5] So bieten die Abschnitte "Dämonen in der griechisch-römischen Welt"
und "Dämonen nach der Zerstörung des Zweiten Tempels" nur zwei Vorträge,
während z.B. der Teil "Dämonen im Alten Ägypten und im Alten Orient"
fünf bzw. "Dämonen im Neuen Testament und in der Gnosis" sogar acht
Vorträge enthält.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Udo Hartmann
URL zur Zitation dieses Beitrages
HU-Berlin-Geschichte


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